Kokerei wird zum Klassenzimmer

Ein Klassenzimmer im ehemaligen Lokschuppen. Das gibt es nicht alle Tage. Für die Schüler/-innen des Fritz-Henßler-Berufskollegs Dortmund im Bildungsgang Bautechnische Assistenten und Assistentinnen (BTA) gehört der zeitweise Unterricht auf der Kokerei Hansa jedoch fest zum Lehrplan. Seit neun Jahren bereits arbeiten das Kolleg und die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur als Eigentümerin des historischen Industrieareals eng zusammen.

»Hier ist eine sehr schöne und sinnvolle Kooperation entstanden«, sagt Ursula Mehrfeld, Geschäftsführerin der Industriedenkmalstiftung. »Die intensive Auseinandersetzung mit der Kokerei Hansa öffnet die Augen für die hohe Qualität der Industriearchitektur der 1920er Jahre. Sie sensibilisiert die Schüler und Schülerinnen für einen sorgsamen Umgang mit dem einzigartigen Denkmalbestand, der sich – da bin ich mir sicher – durch die Arbeit vor Ort fest im Gedächtnis verankern wird. Zugleich bereichern die Ergebnisse in Form von Baudokumentationen unsere denkmalpflegerische Arbeit.«

René Lottermoser, Bildungsgangverantwortlicher im Bildungsgang Bautechnische Assistenten und Klassenlehrer der 13. Klasse am Berufskolleg, ist froh, dass es die Kokerei Hansa gibt. Denn für die angehenden Bautechnischen Assistent/-innen, die er über eine Dauer von drei Jahren ausbildet, ist er immer auf der Suche nach reizvollen und außergewöhnlichen Gebäuden in Dortmund und Umgebung. Die Berufsausbildung umfasst auch baupraktische Anteile und Betriebspraktika. Gleichzeitig erwerben die jungen Menschen die Fachhochschulreife.
 
Der Fachschwerpunkt der Jugendlichen liegt auf dem Themenbereich »Bauen im Bestand«. Alte Industriegebäude und denkmalgeschützte Wohnbebauung sind daher lohnende Projekte für die Schülerarbeit. Die Kokerei bietet von dem mehr als genug. Auf dem weitläufigen Gelände befinden sich zahlreiche Gebäude und technische Anlagen. Das Laborgebäude, das Hochhaus und das Gelände an der Bandbrücke, die hinauf zum Sortenturm führt, bildeten bereits interessanten Unterrichtsstoff.
 
Ausgestattet mit reichlich Messwerkzeug wie Bandmaße, Lasermessgeräte, Nivelliergeräte, Schnüre, Wasserwaage und Zollstock begeben sich Lottermoser und sein Kollege Heiko Enders seit einigen Wochen donnerstags nicht wie gewohnt in die Schule, sondern nach Dortmund-Huckarde. Dort werden sie von insgesamt 25 Schüler/-innen erwartet. Ab 8.30 Uhr sind die 19 jungen Männer und sechs Frauen im Alter von 18 bis 20 Jahren acht Stunden lang am außerschulischen Lernort Kokerei Hansa. »Vermessen« steht für sie auf dem Programm. Den Ablauf ihres Arbeitstags organisieren sie sich selbst. Er richtet sich nach den Erfordernissen der praktischen Arbeit. Hier schrillt keine Pausenglocke.
 
Nachdem die Schüler/-innen im Berufskolleg viel Theorie vermittelt bekommen haben, starten sie auf der Kokerei im fachpraktischen Teil in die Anwendung. Dazu zählen die Untersuchung der Gebäude und des Geländes. Sowohl fotografisch als auch mit bloßem Augenschein wird eine »Aufnahme« des Objekts erstellt, die in einem Text beschrieben wird. Sodann geht es daran, mit Werkzeugen das Gebäude zu vermessen. In diesem Jahrgang widmen sich die angehenden Bautechnischen Assistent/-innen dem Lokschuppen – der ehemalige Stellplatz für Schienenfahrzeuge. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in eine Dokumentation, die – falls Interesse besteht – auch nach Ende des Schuljahrs genutzt werden kann, erklärt Lottermoser.
 
Am diesjährigen Tag des offenen Denkmals, am 8. September, werden die insgesamt drei Jahrgänge des Fritz-Henßler-Berufskolleg, rund 60 junge Männer und Frauen, ihre Arbeiten auf der Kokerei Hansa persönlich präsentieren. Zuvor jedoch stehen für die Berufsschüler noch die Abschlussprüfungen an; auch hier war die Kokerei Hansa in den letzten Jahren immer wieder gefragt. Die Waschkaue wurde dann kurzerhand zum Prüfungszimmer umfunktioniert.
 
Text: Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
Fotos: Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, R. Lottermoser