Trotz des nasskalten Wetters und nur 14°C strahlte Fes – eine von vier marokkanischen Königsstätten und zweitgrößte Stadt des nordafrikanischen Landes – in seinen warmen braunen Farben vor dem dunklen Abendhimmel und empfing das Kollegium ebenso wohlgesonnen.
Herr Rizki, der seit Jahren große deutsche Gerüstbauunternehmen bei der Rekrutierung marokkanischer Auszubildende bezüglich Spracherwerbes, Ausreise und Visabeantragung unterstützt, hatte sich angeboten, für eine Woche der Tourguide zu sein. Seit längerem kommen ungefähr 15% der Schüler/-innen der Gerüstbauabteilung am Fritz-Henßler-Berufskollegs aus Marokko. Diese Quote erklärt sich mit der extrem hohen Jugenderwerbslosigkeit von fast 25% bei den 16- bis 24-Jährigen in Marokko und dem deutschen Fachkräftemangel. Dementsprechend lag der Schwerpunkt der Erasmus+ - Jobshadowingfahrt nicht nur auf dem Handwerk des Gerüstbaus, sondern besonders auf der Lebens-, Schul- und Ausbildungswelt zukünftiger Schüler/-innen aus Marokko.
Auftakt der Rundreise bildete eine, auf Wunsch der Gastgeber in deutscher Sprache gehaltene, Infoveranstaltung zum Dualen System in Deutschland und der Vorstellung der Abteilung Gerüstbau des Fritz-Henßler-Berufskollegs in der Aula der »Chambre de Commerce d'Industrie« in Fes. Es waren circa 70 hauptsächlich junge Männer und deren Eltern anwesend. Organisator dieser Veranstaltung war die Sprachschule »Uni Nachhilfe Wuppertal« in Fes. Am Nachmittag stand der Besuch des Deutschunterrichts vor Ort auf dem Plan. Das Kollegium simulierte dabei Vorstellungsgespräche und Eingangstests, schätzte die Sprachfertigkeit der Teilnehmer/-innen ein und beantwortete die zahlreichen Fragen zur Ausbildung in Deutschland.
Nach einem ausgiebigen marokkanischen Frühstück ging es am nächsten Tag auf eine vierstündige Fahrt zu einem privaten Lycée (Gymnasium) in die Kleinstadt Mechra Bel Ksiri in die Provinz. Die 31.000 Einwohner starke Kleinstadt gilt für die Provinz Sidi Kachem als wichtigstes Ausbildungs- und Gesundheitszentrum der Umgebung. Genauso wie der Fahrweg immer mühsamer wurde, wurden im Vergleich zum Oberzentrum Fes, Stadt-Land-Disparitäten vor allem im Bereich Lebens- und Versorgungsbedingungen sichtbar. Neben der Besichtigung der Sprachschule sowie der Hospitation des Unterrichts, stand der Austausch mit den dortigen marokkanischen Lehrkräften und die Beantwortung von zahlreichen Fragen, diesmal fast ausschließlich in französischer Sprache, im Vordergrund. Da sich der Besuch der deutschen Lehrer/-innen nicht nur bei weiteren Schülern und Schülerinnen der Kleinstadt schnell herumsprach, wurde ebenso die örtliche Polizei auf die Versammlung aufmerksam und verlangte die Überprüfung der Personalien. Zu aller Erleichterung und mit kurzer Wartezeit blieb die Kontrolle folgenlos. Es sollte aber nicht die letzte Polizeikontrolle sein, denn auf der dreistündigen Rückfahrt zur Hauptstadt Rabat wurde der Bus mitsamt Insassen erneut überprüft. Die Fahrtenschreiberbegutachtung führte nach heftigem Disput zwischen Fahrer und Polizei neben einer langen Wartezeit auch zu einem ordentlichen Bußgeld.
Der dritte Tag bildete den Höhepunkt des Informationsaustausches zur beruflichen Bildung zwischen den Lehrkräften beider Länder. Während des Treffens mit den Vorstandsvorsitzenden des Verbandes aller beruflichen Schulen (Fédération Marocaine de l'Enseignement Professionnel – FMEP) in Casablanca, präsentierte die Kollegin Frau Köhler die Gerüstbauabteilung des Fritz-Henßler-Berufskollegs und das Duale System in Deutschland. Das Stattfinden der Ausbildung an zwei Lernorten, die Struktur der Ausbildung, bei der ausschließlich der Ausbildungsbetrieb den Berufsausbildungsvertrag abschließt, und die Sonderrolle der Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes stießen auf sehr großes Interesse.
Die zweite Hälfte der Erasmusfahrt fokussierte sich auf den Gerüstbau. Hier wurden Baustellen, besonders im Altstadtviertel von Marrakesch unter dem speziellen Aspekt des Erdbebens im September 2023, besichtigt. Den Ausklang bildete der Besuch eines Berberlagers in der Wüste am Rand des Atlasgebirges mit abschließendem Abendessen bei glutrotem Sonnenuntergang und mittlerweile warmen Frühjahrstemperaturen.
Unser Dank gilt an dieser Stelle allen, die diesen wichtigen interkulturellen Austausch und die internationale Zusammenarbeit möglich gemacht haben.
شكراً جزيلاً Shukran Jazeelan!
Text: J. Habenicht
Fotos: M. Baller, H. Enders, C. Schophaus, J. Habenicht